Heute sind wir es uns gewohnt, Sammlungen und Museen als die natürlichen Orte für Objekte und Artefakte zu verstehen – kaum ein Ding auf dieser Welt, für welches es kein Museum gäbe. Im Museum kommen die Dinge zusammen, hier werden sie gepflegt und beforscht, einem interessierten Publikum gezeigt und für die Zukunft gesichert. Museen hüten das kulturelle Erbe.
Dabei geht jedoch häufig vergessen, dass Sammlungsbestände ihre eigene Entstehungsgeschichte haben. Dieser wohnen zahllose Brüche inne: In der Geschichte der Dinge und mit der Geschichte tout court. Für die Objekte sind Museen ein second life, das im Gegensatz oder gar Widerspruch zu früheren Bestimmungen steht. Digitale Technologien bieten innovative Möglichkeiten, diese Dimension musealer Sammlungen und ihrer Geschichten zu beleuchten. Es lassen sich damit getrennte Bestände zusammenführen und vergessene historische Kontexte als partizipative Erlebnisräume schaffen.
Mit digitalen Technologien hat ein Team der Universität Basel die ursprünglichen Zusammenhänge des Museum Faesch rekonstruiert. In Zusammenarbeit mit den Gedächtnisinstitutionen und externen Partnern wurde ein Raum geschaffen, in dem die Bestände der Sammlung Faesch wieder zueinanderfinden. Das Projekt erlaubt den Nutzer:innen, die Logiken und Funktionsweisen einer frühneuzeitlichen Kunst- und Wunderkammer interaktiv zu erleben und diese damit als historische Wissensform zu verstehen.
«curiositas 5.0» trägt aber nicht nur die ehemaligen Bestände der Sammlung zusammen, sondern erzählt auch die Geschichte des Museum Faesch, seiner sozialen Kontexte und historischen Akteure. Es beleuchtet die vielfältigen lokalen bis internationalen Beziehungen und Netzwerke, über welche die Bestände und das notwendige Wissen ihrer Ordnung nach Basel gelangt sind. Damit schafft das Projekt auch einen Raum für Storytelling, digitales Staunen und neugierige Entdeckungslust.
Der Jurist Remigius Faesch (1595-1667) war Sohn eines reichen Basler Kaufmanns und Bürgermeisters. Nach Studienreisen durch Italien und Frankreich begann er Bücher, Gemälde, Grafiken, antike Skulpturen, Münzen und Medaillen, Raritäten aus fremden Ländern und allerlei Staunenswertes aus der Natur zusammenzutragen.
1653 verlegte der Universitätsprofessor seinen Wohnsitz in ein repräsentatives Haus am Petersplatz. Hier macht er seine Kunstkammer für Besucher zugänglich. Bald war das «Museum», wie er es nannte, eine der grössten Sehenswürdigkeiten der Stadt: In das Besucherbuch trugen sich Fürsten und Gelehrte aus ganz Europa ein. In seinem Testament von 1667 übertrug Remigius Faesch die Verantwortung für seine Sammlung seinen Nachkommen, in deren Besitz und Verantwortung das «Museum Faesch» über 150 Jahre weiterexistierte. 1823 fiel es an die Universität und wurde später auf Spezialsammlungen verteilt
Ab 1653 war die grosse Sammlung des Remigius Faesch im Haus am Petersplatz 14 untergebracht.
Das Haus steht noch heute.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts begründete Remigius Faesch sein Museum in der Tradition städtischer Sammlungen. In dieser als universalwissenschaftlich konzipierten Kunst- und Wunderkammer versammelte er bis zu seinem Tod 1667 eine etwa 5'000 Bücher umfassende Bibliothek sowie Objekte, die sich gemäss damaliger Gliederung in naturalia und exotica, artificialia und scientifica sowie antiquitates ordnen liessen. Ab 1653 im Haus am Petersplatz 14 untergebracht, bestand die Sammlung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts als Familienmuseum fort.
Damals wurde die Sammlung ins Universitätsgut überführt und im Verlauf des 19. Jahrhunderts zwischen Historischem Museum, Kunstmuseum, Universitätsbibliothek und Naturhistorischem Museum aufgeteilt. So hat sich der Grossteil der Sammlung bis heute erhalten, Damals wurde die Sammlung ins Universitätsgut überführt und allmählich unter den Spezialsammlungen aufgeteilt. So hat sich zwar der Grossteil der Bestände bis heute erhalten, ihr ursprünglicher Zusammenhang einer Kunst- und Wunderkammer jedoch wurde zerstört.
Als digitale Kuration schafft «curiositas 5.0» in vier unterschiedlichen Perspektiven Zugänge zum Museum Faesch. Dabei trägt es nicht nur getrennte Bestände zusammen, zusammen, sondern erzählt Bedeutung und Wandel einer Kunst- und Wunderkammer als einer historischen Wissensform.
In diachroner Perspektive beleuchtet es die vielfältigen lokalen bis internationalen Beziehungen und Netzwerke, über welche die Bestände und das notwendige Wissen ihrer Ordnung nach Basel gelangt sind. Damit schafft das Projekt einen Raum für Storytelling, digitales Staunen und neugierige Entdeckungslust.
Das Projekt beschreitet neue Wege digitaler Kuration. Auch technologisch hat «curiositas 5.0» Pioniercharakter. Das Projekt führt eine grosse Menge unsauberer (Meta-)Daten zusammen und macht diese interoperabel. Die entwickelten Lösungen stehen für künftige Vorhaben ebenso frei zur Verfügung wie die Daten. Damit orientiert es sich an den international gültigen Standards (FAIR, LOUD, CARE) und setzt eine Strategie für «Open Data» um. Nach Web 2.0, Ökonomie 3.0 und Industrie 4.0 versteht das Projekt digitale Domäne und Internet als zukunftsweisende Möglichkeit und Chance für das kulturelle Erbe. In diesem Sinn leistet es einen Beitrag an eine Kultur 5.0 – deswegen «curiositas 5.0».
Die Objekte bilden den Reichtum einer Sammlung,
ihre Seele zeigt sich aber erst in den Beziehungen zwischen den Objekten.
Einem heutigen Publikum erscheinen die Kunst- und Wunderkammern der Frühen Neuzeit als ungeordnetes Sammelsurium. Damals waren sie jedoch Orte des Wissens und Laboratorien der Wissenschaft. In den Bezügen, die sich zwischen Objekten unterschiedlicher Herkunft, Materialität und Machart herstellen liessen, lag der Schlüssel zum Verständnis der Schöpfung. Im Mikrokosmos eines Kuriositätenkabinetts spiegelte sich der Makrokosmos der göttlichen Schöpfung, die sich hier untersuchen und verstehen liess. Der Überfluss an Dingen war mit anderen Worten keiner blinden Sammelwut geschuldet, sondern stand im Dienst eines universalen Wissensanspruchs.
In Objektkonstellationen werden Bezüge sichtbar, die jenseits moderner Sammlungskategorien liegen. Praktiken barocker Universalwissenschaft werden verständlich, und die Faszination einer Kunst- und Wunderkammer als historische Wissensform nachvollziehbar. Zudem werden verstreute Bestände in ihren ursprünglichen Sinnzusammenhängen zusammengeführt.
Geschichten beleuchten das Museum Faesch in seinen
Aussenbezügen und im historischen Wandel
Sammlungen und Museen sind organische Gebilde. Sie können aus wenigen Objekten entstehen, sich aber auch zu regelrechten Monstern auswachsen; noch häufiger werden sie aber nach einer gewissen Zeit wieder in alle Welt zerstreut. Auch das Museum Faesch war in Genese, Wachstum und Bewahrung seiner Bestände den Unwägbarkeiten der Geschichte ausgesetzt. Seine Bedeutung lässt sich nicht für einen ausgewählten Zeitpunkt alleine bestimmen, sondern liegt in den zahllosen Geschichten, in die dieses Kuriositätenkabinett im Wandel der Zeit verwickelt war.
Eingebettet in die Sozial-, Kultur- und Wissensgeschichte seit der Frühen Neuzeit, beleuchtet das Projekt Akteur:innen, Netzwerke und Beziehungen ebenso wie die Zirkulation von Objekten, Büchern und Wissen, die für Aufbau und Fortbestand des Museum Faesch allesamt unabdingbar waren. Das Museum am Petersplatz war lokal tief verankert, bei einer internationalen Klientel auf Grand Tour beliebt und mit globalen Artefakten bestückt. Doch die Bedeutung dieser Artefakte wandelte sich ebenso, wie Kunst- und Wunderkammern seit der Aufklärung modernen Vorstellungen von Wissenschaft zunehmend nicht mehr entsprachen.
In der Zeit der Neuordnung Europas um 1800, die auch an Basel nicht spurlos vorbeigingen, fiel auch das Ende des Faesch’schen Familienmuseums.
Quellen als Daten schaffen neue Zugänge zum Museum Faesch
Ein digitales Museum überwindet nicht nur institutionelle und disziplinäre Grenzen, sondern ermöglicht auch, Quellen und Objekte als Daten zu nutzen. Objekte lassen sich als Fotografien oder als 3D-Modelle darstellen. Beides ermöglicht es, die Objekte selbständig zu erkunden, wie es selbst im Museum nicht immer möglich ist. Hochaufgelöste Bilder erlauben die Betrachtung kleinster Details, die mit blossem Auge nicht zu erkennen sind; 3D-Modelle erlauben es, die Objekte nach Belieben zu drehen und zu wenden.
«curiositas 5.0» nutzt digitale Technologien auch dafür, bestehende digitale Ressourcen attraktiv miteinander zu verbinden und damit zugleich die Geschichte der Basler Sammlungsbestände zu vermitteln. Eine Fotografie der sogenannten Holbein-Nische im Basler «Museumstempel» zu Beginn des 20. Jahrhunderts bietet die Möglichkeit, sowohl die historische Salonhängung der hoch geschätzten Gemälde aller drei Holbein in Erinnerung zu rufen und sie zugleich mit den aktuellen Ressourcen im Kunstmuseum zu verbinden.
Jenseits visuell attraktiver Digitalisate erlaubt die Technologien die Auswertung und Darstellung von (Meta-)Daten zu Forschungszwecken. Bereits Remigius Faesch hat die von ihm erworbenen Objekte mit Metadaten angereichert. So hat er etwa einen Katalog seiner Bibliothek angelegt, in den er zwischen 1628 und seinem Tod 1667 die von ihm erworbenen Bücher nach einem bis heute üblichen Standard – Autor, Titel, Erscheinungsort und -jahr – festgehalten. Beim Sammeln, Ordnen und Zeigen von Objekten und Artefakten entstehen Metadaten und diesen Bestand nutzt das Projekt für eine Reihe unterschiedlicher Auswertungen, die ihrerseits als Ausgangspunkt für Hypothesen und weiterführende Fragestellungen dienen. Der Beitrag der Technologie besteht primär darin, eine hohe Zahl an Informationen – etwa die Erscheinungsorte aller gedruckter Bücher in der Faesch’schen Bibliothek – auf eine Karte auszugeben. Mit einer solchen Visualisierung lässt sich dann weiterarbeiten. Die Voraussetzung dafür sind sauber strukturierte Daten.
Das Museum Faesch in seinen Objekten und Metadaten
Es lässt sich heute nicht mehr exakt bestimmen, wie viele Objekte das Museum Faesch umfasste – letztlich für keinen Zeitpunkt seiner knapp vierhundertjährigen Geschichte. Zudem erfolgte die Dokumentation gewisser Bestandseingänge ins Universitätsgut zu Beginn des 19. Jahrhunderts und der Aufteilung in die städtischen Spezialsammlungen nicht mit der Sorgfalt, die für eindeutige Provenienz notwendig wäre; das gilt besonders für die Naturalien, aber auch für Buchbestände und Teile der Druckgraphik. Auch dies ist Teil von Sammlungsgeschichten und betont den nicht linearen Verlauf der Geschichte.
«Curiositas 5.0» stellt die Objekte aus dem Museum Faesch auch als Bildergalerie in verschiedenen Medientypen zur Verfügung. Diese sind um die Metadaten aus den Institutionen ergänzt. Das ist deswegen herausfordernd, weil Gedächtnisinstitutionen für ihre Metadaten domänenspezifische Standards und unterschiedliche Schemata verwenden. Das Projekt verzichtet darauf, die Metadaten zu harmonisieren, sondern gibt ein stark reduziertes Schema für alle Objekte aus und erlaubt zugleich den Download der Digitalisate sowie aller aus den Institutionen gelieferten Metadaten als JSON-file (Java Script Object Notation) zur freien Nachnutzung. Damit wird sichergestellt, dass keine Informationen verloren gehen.
Curiositas 5.0 nutzt digitale Technologien, um die Geschichte des Museum Faesch zu erzählen. Die Kunst- und Wunderkammer existiert heute nicht mehr. Der Grossteil ihrer Objekte hat sich in den Beständen dreier Basler Sammlungen erhalten. Nun kann die digitale Kunst- und Wunderkammer online entdeckt werden.
> Webseite CURIOSITAS 5.0 – Museum Faesch
Wie sehen eigentlich die Daten zu den Objekten aus? Interessierte können hier ein JSON-File der abgebildeten Achatschale herunterladen und einen Eindruck erhalten.
Curiositas 5.0 ist Projekt von Digitales Schaudepot. Eine Auflistung aller am Projekt Beteiligten finden Interessierte im Impressum Curiositas 5.0.
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