Im Mittelalter erhoben insgesamt sieben Städte den Anspruch, die Kopfreliquie des Johannes zu besitzen. Am berühmtesten war und ist die Reliquie in der Kathedrale von Amiens, die infolge des Vierten Kreuzzuges (1204) als Kriegsbeute aus Konstantinopel in die Hände des Bischofs von Amiens fiel und so Amiens zu einem bedeutenden Wallfahrtsort werden liess.
Wie auch heutzutage noch üblich wurden im Mittelalter an Pilgerstätten metallene Abzeichen mit Darstellung der Reliquien und ähnliche Souvenirs zum Andenken an die Wallfahrt in grossen Mengen vertrieben. Diese Pilgerabzeichen wurden mittels Bleiguss seriell gefertigt und dann meist an die Pilgerkleidung angenäht. Auch wurden Pilgerandenken seriell in Keramik gefertigt, sind aber wesentlich seltener erhalten. Beim vorliegenden Objekt dürfte ein kleines Loch am oberen Rand zur Aufhängung gedient haben.
Der genaue Herkunftsort der Johannesschüssel des Historischen Museums ist nicht bekannt. Verschiedene Hinweise legen jedoch nahe, dass sie aus Amiens stammt. Der Perlenkranz, der das Haupt umgibt, scheint die Edelsteinumrahmung der zwar nicht mehr erhaltenen, aber auf der Chorschranke der Kathedrale abgebildeten mittelalterlichen Fassung der Amienser Reliquie zu imitieren. Ausserdem war das spätmittelalterliche Amiens ein lokales Zentrum der Keramikproduktion, wo grüne Glasur ähnlich der Basler Johannesschüssel zur Verwendung kam. Die menschliche Sinneswahrnehmung bedarf einer variablen Lichtsituation, um die Oberflächenbeschaffenheit eines Gegenstandes durch sein optisches Verhalten (wie z.B. Glanz, Lichtdurchlässigkeit) zu bestimmen. Hier sind 3D-Modelle gegenüber zweidimensional-statischen Abbildungen im Vorteil: Sie lassen das tatsächliche optische Erscheinungsbild eines Objekts realitätsnah simulieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist das unterschiedliche Lichtverhalten der grün glänzenden Bleiglasur der Vorderseite und der unglasierten matten Rückseite am Modell der Johannesschüssel. Diese optischen Qualitäten werden nicht durch den fotogrammetrischen Prozess selbst erfasst, sondern müssen manuell dem Modell zugewiesen werden. Dies ist vielleicht die grösste Schwäche der Technologie. Aber auch wenn das simulierte optische Verhalten somit erst «freihändig» am Computer rekonstruiert (also nicht mathematisch berechnet) wird, so ist das simulierte 3D-Modell hinsichtlich des optischen Erscheinungsbildes aussagekräftiger als eine fotografische Abbildung.
Herstellungsort unbekannt
2. Hälfte 15. Jh.
Ton, mit Model ausgeformt, grün glasiert
Durchmesser 10 cm
Kauf
Inv.-Nr. 1931.17.