Es ist bekannt, dass das HMB in seinen Sammlungen eine breite Palette von Objekten beherbergt. Eine davon ist die Musikinstrumentensammlung, die mit über 3'300 Objekten die grösste öffentlich zugängliche Sammlung ihrer Art in der Schweiz ist.
In der Musikinstrumentensammlung befindet sich ein kleines, sehr spannendes Instrument: Eine Gusle mit dem dazugehörigen Bogen (Abb. 1). Bei der Gusle (serbisch Гусле; albanisch Lahutë) handelt es sich um eines der ältesten, traditionellen Streichinstrumente der Volksmusik des südosteuropäischen Berglandes, welche vom epischen Sänger, dem Guslar (serbisch Гуслар; albanisch Lahutar), gespielt wird. Sowohl das Instrument an sich, als auch dessen Spielweise sind bis heute unverändert erhalten geblieben.
Die Gusle ist eine südslavische Form der Schalenhalslauten. Der ovale bis birnenförmige Resonanzkörper, meist aus Ahornholz gefertigt, ist mit einer dünnen Tierhaut bespannt. Der Resonanzkörper geht in den griffbrettlosen Hals über und endet im verzierten Kopf, der häufig mit Tiermotiven oder volkstümlichen Symbolen aus der lokalen Kultur der Hirtenvölker ausgeschmückt ist. Am Kopf der Gusle sind je nach Anzahl der Saitenbündel ein oder zwei Wirbel in unterschiedlicher Position angebracht, welche die Saiten aus Rosshaar spannen.
Beim Spiel der Gusle kommt ein halbmondförmiger Rosshaarbogen aus Holz zum Einsatz, mit welchem das Instrument gestrichen wird.
Im Allgemeinen wird zwischen drei verschiedenen Bauarten unterschieden: der serbischen, der montenegrinischen und der bosnischen Gusle. Die auffälligsten Unterschiede liegen vor allem in der Grösse sowie der Form des Resonanzkörpers. Die Gusle wird in Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Dalmatien, Nordalbanien und Mittelwestbulgarien sowie im Kosovo gespielt.
In der Forschung gibt es keinen Konsens über die genaue Herkunft der Gusle. Die Verwendung von Rosshaaren als Spielsaiten sowie die Bespannung des Resonanzkörpers mit Tierhäuten, wie es im asiatischem Raum üblich ist, wird von Forschenden als Hinweis gedeutet, dass die Gusle als Kulturgut aus dem «Orient» in den europäischen Raum gelangte. Eine andere These hingegen sieht das Byzantinische Reich als den Ursprung der Gusle. Demnach entstand die Gusle ausgehend von der byzantinischen Lyra und verbreitete sich in allen Ländern der Balkanhalbinsel. Auch wenn die Byzantiner bereits von südslavischen Musikern berichteten, stammen die ersten schriftlichen Quellen zur Nutzung der Gusle aus dem frühen 14. Jahrhundert und sind aus Serbien.
Die Gusle war eines der heiligen Symbole, der in die Berge und Wälder geflohenen, slavischen Freiheitskämpfer, welche gegen die 600-jährige Fremdherrschaft und Unterdrückung durch die Osmanen kämpften.
Gespielt wird die Gusle vom sogenannten Guslar, der das Instrument mit seinem Gesang begleitet. Der Guslar spielt meist im Sitzen (Abb. 2), indem er sein Instrument zwischen die Knie legt und mit der linken Hand den Hals des Instrumentes festhält. Der Bogen wird in der rechten Hand gehalten. Auf historischen Abbildungen ist die Körperhaltung von Guslaren zu sehen. Eine Abbildung zeigt den blinden Guslaren Filip Višnjić (1767-1834), der ein bosnischer Serbe und einer der bekanntesten Guslaren war (Abb. 3). Eine Photographie zeigt die Guslaren Dimitrije Popović und Ilija Barzilovica (Abb. 4), die in traditioneller, serbischer Kleidung und Gusle-typischer Körperhaltung für eine Photographie posieren. Eine weitere Photographie zeigt einen unbekannten, spielenden Guslaren im Belgrader Garten der Künstlerin Nadežda Petrović (1873-1915), welcher von seinem Publikum umgeben ist (Abb.2)
Die gespielte Melodie der Gusle und die Stimme des Guslaren decken sich, beide musizieren also unisono. Das kreative Zusammengehen von Instrument und Gesang ist geprägt von einer vielschichtigen und intensiven Interaktion zwischen dem Guslar und seinem Publikum. So war es beispielsweise nicht unüblich, dass Emotionen, welche der Guslar durch seinen Guslenvortrag im Publikum erweckte, direkt gelebt wurden. Es ist bekannt, dass beispielsweise Filip Višnjić (Abb. 3) sein Publikum tief berührte und bis zu Tränen rührte. Weiter war und ist es üblich, dass das Publikum bestimmte Zeilen oder Melodien mit Beifall begleitet. Ein weiterer Punkt dieser vielschichtigen Interaktion war die symbolische Handlung des Entgegenreichens der Gusle zum Publikum, das wie ein geweihtes Objekt behandelt wurde. Dies konnte vor oder nach dem Vortag geschehen, der Guslar verbeugt sich dabei vor den Empfangenden. Die Dauer der Lieder konnte sich über Stunden oder gar Tage erstrecken.
Das Singen zur Gusle-Begleitung ist eine historische Aufführungspraxis, die den Sologesang volkstümlicher Epik umfasst und seit Jahrhunderten als Form des historischen Gedächtnisses praktiziert wird und die kulturelle Identität der Gemeinschaften zum Ausdruck bringt. Diese archaische Form der Volkskunst bringt höchste ethische Werte zum Ausdruck, wie die Bedeutung von Verwandtschaft und Zugehörigkeit sowie die Homogenität des Kollektivs. Innerhalb der Gemeinschaft war der Guslar, neben dem Ältesten und dem Krieger, eine weitere bedeutende Persönlichkeit. Das Vortragen der Lieder dient in erster Linie der Bewahrung von Tradition und Brauchtum, einen unterhaltenden Zweck verfolgt das Gusle-Spiel eher nicht.
Als der Analphabetismus in der Gesellschaft noch weit verbreitet war, diente die Gusle als Medium, um mythische Heldenepen, Geschichten, Schlachten und historische Figuren zu vermitteln. So wurde die Folklore der Region sowie der jeweiligen Ethnie der Bevölkerung zugänglich gemacht. Die Guslaren, oft ebenfalls Analphabeten, lernten die Lieder durch mündliche Überlieferungen. Die Weitergabe von Generation zu Generation dient so als lebendiges Archiv der Geschichte.
Der serbische Philologe Vuk Stefanović Karadžić (1787-1864) dokumentierte eine Vielzahl an epischen Liedern zu Beginn des 19. Jahrhunderts; das heutige Repertoire von Guslaren entstammt in den meisten Fällen diesem Korpus.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Singen in Begleitung der Gusle eine Kombination aus historischem Gedächtnis des Kollektivs und traditionellen musikalischen Fähigkeiten darstellt. In Serbien und Montenegro sind die Gusle und die sie begleitenden Lieder eng mit den christlich-orthodoxen Traditionen verbunden.
Im Jahr 2018 wurden der Gesang und die Begleitung durch die Gusle in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit (UNESCO) für Serbien aufgenommen. Das Erlernen sowie die Fortführung dieser Tradition wird dadurch auch auf höchster Ebene gefördert und findet auch heute zahlreiche junge Anhänger. Obwohl die Guslaren historisch immer männlich waren, gibt es heute vermehrt auch weibliche Guslarinnen.
Abschliessend möchte ich für alle Interessierten einen Link beifügen, anhand welchem ein Video eines spielenden Guslaren gehört und angesehen werden kann:
Tijana Cvijetić arbeitet als Inventi und Konservatorin-Restauratorin bei der Generalinventur. Neben ihrer Liebe zur Graphik hat sie ein grosses Interesse an verschiedenen Kulturen und den miteinhergehenden Traditionen und Brauchtümern. In diesem Beitrag trifft sie in ihrer Heimatstadt Basel auf die Kultur ihrer Landsleute.
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