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Bitte lächeln, Familie Passavant!

Das Hantieren mit versilberten Kupferplatten, Quecksilberdämpfen und Kochsalzlösungen erscheint dem heutigen Smartphone-Besitzer sicherlich als ein unzumutbares Gesundheitsrisiko, nur um letztendlich eine Fotografie zu erhalten.

Nichtsdestotrotz galt die 1839 der Öffentlichkeit vorgestellte Daguerreotypie als Meilenstein in der Entwicklung fotografischer Aufnahmeverfahren. Bereits im Oktober 1840 entschied sich ein Basler Bürger dieses neue Verfahren zu nutzen, um sein Abbild für die Nachwelt festzuhalten. Damit schuf er eine der ältesten fotografischen Aufnahmen, die sich heute in der Sammlung des Historischen Museum Basel befinden.

2013.483. Porträt des Emanuel Passavant-Streckeisen, Daguerreotypie,
Herstellungsort unbekannt, wohl um 1840, 95 mm x 85 mm (mit Rahmen)

Auf einer kleinen, etwas verschwommenen Aufnahme schaut ein Mann mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen in die Kamera. Laut der schwer leserlichen Notiz auf der Rückseite des Bildrahmens ist an diesem verkniffenen Gesichtsausdruck die Sonne schuld: «les yeux portent l'expression de la souffrance par l'action du soleil dans les yeux.»

Obwohl die meisten Porträtaufnahmen zur damaligen Zeit in Ateliers entstanden, möchte man sich aufgrund des dicken Mantels gerne vorstellen, wie der Mann in der kalten Herbstluft steht und während der langen Belichtungszeit ungeduldig von einem Bein aufs andere tritt – seine Bewegungen lassen die Aufnahme bei weitem nicht so gestochen scharf werden, wie es eigentlich möglich wäre. Der dunkle Mantel und das eingesteckte Halstuch weisen ihn vielleicht als einen Mann besserer Herkunft aus, doch ansonsten verrät uns das Porträt überraschend wenig über den Gezeigten: Ein schlichter, in Falten drapierter Stoff bildet den Hintergrund, keinerlei Attribute lassen einen Beruf erkennen und die Monochromie der Aufnahme tut ihr Übriges. 

Tatsächlich verrät uns erst die handschriftliche Notiz auf der Rückseite des Bilderrahmens, dass es sich um den Basler Emanuel Passavant-Streckeisen (1785-1842) handelt. Er war das zweite von vier Kindern von Jeanne Marie Pierrette Martin (1756-1803) und Hans Franz Passavant-Martin (1751-1834), dem Gründer des Bankhauses Passavant & Cie. Damit stammte er aus dem Basler Familienzweig der bekannten Familie de Passavant, die sich im 16. Jahrhundert in Basel und Genf sowie im 17. Jahrhundert in Frankfurt am Main niederliessen. Emanuel Passavant trat in die Fussstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Bankier. 1813 heiratete er Elisabeth Henriette Streckeisen (1796-1860), mit der er drei Kinder bekam. Nur zwei Jahre nach der Entstehung der Daguerreotypie verstarb Emanuel Passavant-Streckeisen.

Eine der ersten Porträtfotografien in unserer Sammlung

Möchte man der Notiz auf der Rückseite der Aufnahme weiter glauben, gehört die Daguerreotypie des Emanuel Passavant-Streckeisens zu den frühsten Ergebnissen des damals noch neuen Verfahrens: „[P]ASSAVANT STRECKEISE[N]. 30 October 1840“ wurde dort festgehalten. Damit wäre diese Daguerreotypie nur knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung des Verfahrens entstanden und eine der ältesten Porträtfotografien in der Sammlung des Historischen Museums Basel.

Leider verrät uns weder die handschriftliche Notiz, noch die Aufnahme selbst, wo Emanuel Passavant-Streckeisen die Aufnahme hat machen lassen. Möglich wäre wohl jede grössere europäische Stadt, denn nachdem die französische Regierung 1839 Louis Jacques Mandé Daguerre (1787-1851) sein Patent abgekauft und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte, verbreitete sich die fotografische Aufnahmetechnik über die ganze Welt und löste einen medialen Wandel in der Porträtherstellung aus: zunächst noch recht aufwendig und kostspielig, wurde die Fotografie dank einer schnellen Belichtungszeit, einer quasi unendlichen Reproduzierbarkeit sowie einem vermeintlich authentischen Blick auf die Dargestellten schliesslich zum kommerziellen Erfolg. Auch in Basel hatten sich bereits um 1860 mehrere Geschäfte niedergelassen, die zunächst die Daguerreotypie und später andere fotografische Verfahren anboten.

1988.109. Porträt der Maria Passavant-Passavant, Öl auf Leinwand, Künstler Anton Hickel (1745-1798), 1784, 680x845 mm (mit Rahmen)
2009.351. Porträt der Maria Passavant-Passavant, Gouache auf Papier, nach dem Gemälde von Anton Hickel, Künstler unbekannt, 1784-1790, 215x160 mm (mit Rahmen)
2009.359. Porträt der Maria Passavant-Passavant, Bleistift und Silberstift auf Papier, Künstler unbekannt, 1800-1820, 120x105 mm (mit Rahmen)
2009.349. Profil der Maria Passavant-Passavant, Papier, Künstler unbekannt, 1800-1817, 185x135 mm (mit Rahmen)

Wie anhand einer Reihe von Objekten aus der Sammlung des Historischen Museums gezeigt werden kann, wurden die Gesichter von Baslerinnen und Baslern in diversen Bildmedien festgehalten. Beispielhaft sei hier auf eine Porträtreihe hingewiesen, die mittels verschiedener Gestaltungsmittel eine entfernte Verwandte des Emanuel Passavant-Streckeisen zeigt: Maria Passavant-Passavant (1751-1817).

Vertreten sind hier das klassischen Ölgemälde auf Leinwand, das Miniaturbildnis in Gouache bzw. Bleistift und Silberstift auf Papier sowie der zur Zeit von Maria Passavant-Passavant sehr beliebte Scherenschnitt. Und trotz des kommerziellen Erfolgs der Fotografie, blieb vor allem die Porträtmalerei ein starker Konkurrent des neuen Mediums: Auch in der Familie Passavant liess man sich gerne weiterhin malen, so auch der seit 1842 mit Adèle Bachofen (1823-1883) verheiratete Emanuel Passavant-Bachofen (1817-1879), Sohne des Emanuel Passavant-Streckeisen.

Zugleich scheint die frühe Daguerreotypie des Vaters einen gewissen Eindruck gemacht zu haben, denn es entstand eine Art Mischmedium: Daguerreotypien nach den vom Luzerner Künstler Joseph Xaver Weingartner (1810-1884) gemalten Porträts des Ehepaars und ihrer Kinder Emanuel (1843-1922, später Passavant-Allemandi), Hans Franz (1845-1909, später Passavant-Iselin), Adèle (1847-1927, später Passavant-La Roche), Charlotte (1849-1925, später Passavant-Burckhardt) und Karl (1854-1887).

2013.484.1-2. Porträt des Ehepaars Emanuel und Adèle Passavant-Bachofen, Daguerreotypien (nach Gemälden des Joseph Xaver Weingartner), Herstellungsort unbekannt, nach 1942, je 125 mm x 115 mm (mit Rahmen)
2013.485. Porträt der Kinder des Ehepaars Emanuel und Adèle Passavant-Bachofen, Daguerreotypie (nach einem Gemälde), Herstellungsort unbekannt, nach 1955, 150 mm x 130 mm (mit Rahmen)
 

Die Überlagerung der beiden Medientypen mutet heute vielleicht etwas seltsam an – warum sollte man ein Gemälde fotografieren, das zudem im Original an der eigenen Wand hängt? In ihrem Bildaufbau folgte die Porträtfotografie lange Zeit der traditionellen Malerei und auch der Akt der Rahmung erinnert an die klassische Präsentationsform von Gemälden, doch vor allem Letzteres verweist auch auf die besondere Schutzbedürftigkeit der frühen Fotografien. Nach der Fixierung der Trägerplatte wurde diese relativ schnell mit einem Passepartout hinter einer Glasscheibe montiert und luftdicht verklebt.

Diese verschiedenen Materiallagen haben vor allem eine schützende Funktion, denn die Bildoberfläche konnte nicht nur oxidieren, sondern auch leicht zerkratzen. Dies zu verhindern war besonders wichtig, denn anders als die gehängten, grossformatigen Gemälde waren Daguerreotypien mobile Objekte: der Tausch von Porträts war und ist eine weit verbreitete kulturelle Handlung, die vor allem der Festigung von freundschaftlichen und familiären Beziehungen dient. Lange Zeit fertigte man für diese Tauschkultur verschiedene Arten von kleinformatigen (Bild-)Medien an – hier sei noch einmal auf das Gouache-Porträt der Maria Passavant-Passavant verwiesen, das nach dem Ölgemälde des Anton Hickel angefertigt wurde.

Die Familie Passavant-Bachofen sah in der fotografischen Aufnahme ihrer Gemälde wohl eine kostengünstigere und schnellere Methode der Vervielfältigung. Zudem brachte das mechanisierte Aufnahmeverfahren den Vorteil mit sich, dass das Gesicht der Dargestellten nicht noch einmal von einem Maler übersetzt werden musste, was häufig fehlerhafte Darstellungen mit sich brachte. Die Fotografie hingegen gilt wohl als das authentischste Darstellungsverfahren mit dem grössten Wiedererkennungswert. Geht nach wenigen Generationen der Wiedererkennungswert der Gesichter verloren, bekommen vor allem die auf den Rückseiten vermerkten Namen und Lebenszeiten eine genealogische sowie historiografische Bedeutung – so wie bei der Daguerreotypie des Emanuel Passavant-Streckeisen.

Die hier vorgestellten Objekte changieren stets zwischen der authentischen Darstellung der individuellen Menschen und der Inszenierung von familiärer Kontinuität. Mit der Übergabe der Daguerreotypien in die Sammlung des Historischen Museums Basel, werden die Namen und Gesichter der Passavants schliesslich auch als Teil der Stadtgeschichte sichtbar.

13. September 2024 – Kerstin Busch

Kerstin Busch arbeitet im HMB als Inventi bei der Generalinventur. Sie hat Kunstgeschichte studiert und interessiert sich für Reproduktionsmedien und deren Sammlungskontexte.

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